Hintergründe zum Kartellverfahren gegen Google
Die EU-Kommission untersucht Vorwürfe, dass Google seine marktbeherrschende Position ausnutzt und damit den Wettbewerb unerlaubt verzerrt. Die Berichterstattung dazu war bisher nicht sehr aufschlussreich — daher soll hier beleuchtet werden, worum es bei den Untersuchungen wirklich geht und welches Resultat am Ende herauskommen könnte.
Die EU-Kommission hat sich in den vergangenen Jahren einen Ruf als gefürchtete Hüterin des Wettbewerbs erarbeitet. Mit Microsoft und Intel kamen dabei auch zwei IT-Konzerne unter die Räder, sie wurden jeweils zur Zahlung von rund einer Milliarde Euro an Bußgeldern verurteilt. Apple ist hingegen vor wenigen Monaten ziemlich glimpflich davongekommen und wurde nur zu kleineren Zugeständnissen in der Geschäftspolitik verpflichtet.
Diese Woche leitete die EU-Kommission eine formelle Untersuchung gegen Google ein. Google steht im Verdacht, die Suchmaschinen-Rankings in wettbewerbswidriger Weise zu verfälschen. Während manche Medien schon über Milliardenstrafen spekulieren liegen der EU-Kommission derzeit nach eigener Aussage keine Beweise für das angebliche Fehlverhalten vor. Es wurde lediglich eine Untersuchung eingeleitet, um die Vorwürfe genauer zu prüfen.
Maßgeblich für die Einleitung des Verfahrens waren Beschwerden von Foundem (eine britisches Preisvergleichs-Portal), Ciao (welches sich im Besitz von Microsoft befindet) und eJustice (eine branchenspezifische Suchmaschine aus Frankreich). Die Vorwürfe erstrecken sich auf drei Bereiche:
- Der erste Vorwurf bezieht sich auf die Integration von vertikalen Diensten. Google wird vorgeworfen, dass Preisvergleiche in ungerechtfertigter Weise künstlich abgewertet werden und dafür eigene Dienste wie die Google Produktsuche bevorzugt werden.
- Der zweite Vorwurf bezieht sich auf die Berechnung des AdWords Quality Score von vertikalen Suchmaschinen. Der QS von solchen Suchmaschinen soll künstlich niedrig gehalten werden, wodurch Google-Konkurrenten unverhältnismäßige Anzeigenpreise bezahlen müssten.
- Der dritte Vorwurf bezieht sich auf angebliche wettbewerbswidrige Verträge mit einigen Anzeigenkunden. Angeblich hätte Google einige Exklusivverträge abgeschlossen, wodurch Konkurrenten dieser Anzeigenkunden zu bestimmten Begriffen keine AdWords-Anzeigen mehr schalten können.
In der Berichterstattung mancher Medien wurde einiges vermischt, wodurch sich einige Missverständnisse ergeben haben. Es geht jedenfalls nicht darum, dass Google nun die Suchergebnisseiten von Konkurrenten wie Bing und Yahoo in den eigenen Ergebnissen aufnehmen und besser platzieren müsste.
Aufgrund der marktbeherrschenden Stellung von Google hat der Suchmaschinengigant besondere Pflichten. So dürfen andere vertikale Produkte nicht gegenüber anderen Konkurrenten bevorzugt werden, um den Wettbewerb nicht zu verzerren. Google müsste also theoretisch alle anderen Dienste, die nicht untrennbar mit der eigentlichen Suchmaschine verbunden sind, den gleichen Ranking-Kriterien unterwerfen wie Konkurrenzseiten.
In den letzten Wochen wurde oftmals ein Bericht von Ben Edelman zitiert, der diese Bevorzugung der eigenen Google-Dienste dokumentieren soll. Edelman arbeitet als Berater für einige Google-Konkurrenten und ist daher auch nicht die objektivste Quelle. Seine Erkenntnisse dürften dennoch richtig sein – denn selbst Google stellt das nicht in Abrede. Bei einer Rede im Jahr 2007 hat Marissa Meyer selbst gesagt, dass bei Google Finance erstmals die eigenen Vertical-Search-Ergebnisse gezielt forciert wurden, was seitdem eine übliche Vorgangsweise sein soll.
Ebenso ist ein offenes Geheimnis, dass bestimmte Seitentypen bei Google nicht gerade erwünscht sind. Dazu gehören auch Websites mit reinen Arbitrage-Modellen, ebenso sind Preisvergleichsseiten laut den Landing Page and Site Quality Guidelines nur unter bestimmten Bedingungen zulässig.
Die Entscheidung der EU-Kommission wird nicht in allgemeine Ranking-Kriterien eingreifen. Zusammengefasst geht es aber um zwei wichtige Fragen: wie darf Google die Position der eigenen Vertical-Search-Resultate bestimmen und dürfen bestimmten Seitentypen (Arbitrage, Preisvergleich, Suchergebnisse) von Google benachteiligt werden?
Google wird versuchen mit den Bedürfnissen der Suchmaschinen-Nutzer zu argumentieren. Um die bisherigen Praktiken zu rechtfertigen, muss Google wohl diesen Zusatznutzen anhand von Klickraten dokumentieren. Klickraten als allgemeiner Ranking-Faktor würden im Gegensatz zu einer gezielten Bevorzugung wohl akzeptiert werden.
In Anbetracht früherer Entscheidungen der EU-Kommission ist wohl ein Kompromiss mit einigen Auflagen zu erwarten, um beidseitig das Gesicht zu wahren. Am Ende könnte die Kommission beispielsweise verlangen, dass Google die Suchmaschinennutzer zwischen zwei Versionen („Wollen sie eine Version mit nützlichen Zusatzservices von Google nutzen?“) wählen muss. In der Theorie gibt es damit Wahlfreiheit und mehr Wettbewerb, in der Praxis würde sich nicht viel ändern. Aber vielleicht hat die EU-Kommission auch daraus gelernt, dass niemand die Windows-Version ohne Windows Media Player gekauft hat, und verzichtet gleich auf solche Maßnahmen ...
Artikel ver�ffentlicht von Thomas Graf am 02. Dezember 2010 | Tweet